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Realität ist relativ – was Bewusstseinszustände mit Wahrnehmung machen

Aktualisiert: 30. Juni


Bevor wir in emotionale Zustände und Bewusstsein eintauchen, werfen wir kurz einen Blick auf ein spannendes Mass für menschliche Wahrnehmung: Bits pro Sekunde.


Was die Forschung misst – und was sie noch nicht unterscheidet


Ein Bit ist die kleinste Informationseinheit – gewissermassen ein "Ja" oder "Nein", eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten. Unsere Sinnesorgane nehmen pro Sekunde Millionen von Bits auf: Licht, Klang, Temperatur, Bewegung, Sprache, innere Zustände. Die Augen allein liefern etwa 10 Millionen Bit pro Sekunde an Rohdaten – das entspricht einer extrem hochauflösenden Filmkamera.


Das Gehirn filtert diese Flut jedoch radikal. Nur ein winziger Teil wird tatsächlich bewusst verarbeitet – viele Forscher schätzen etwa 50 bis 100 Bit pro Sekunde. Diese kleine Auswahl bildet das, was wir "Realität" nennen: das, was wir gerade hören, sehen, fühlen, denken – und vor allem: bewerten.


Diese Zahlen basieren auf einem ganz bestimmten Bild vom Menschen: jenem eines durchschnittlichen Nervensystems in einem neutralen oder leicht gestressten Zustand. Die meisten Experimente finden in Laborsituationen statt – unter gleichmässiger Beleuchtung, standardisierten Aufgaben und in einem psychisch eher ruhigen Zustand.

Unterschiede im inneren Zustand der Versuchspersonen – also die Qualität des Bewusstseins, in der sich ein Mensch befindet – bleiben in der Regel unbeachtet. Ob jemand unter innerem Druck steht, sich in Schuldgefühlen verliert oder aus einem Zustand innerer Klarheit heraus agiert, fliesst kaum in die Auswertung ein. Die gemessenen Bitraten entsprechen somit einem psychischen «Durchschnittsniveau» – nicht Zuständen von tiefer Angst oder grosser innerer Freiheit.


Hier öffnet sich ein spannendes Feld für die Zukunft.


Was geschieht mit der bewussten Wahrnehmung, wenn sich nicht nur die äusseren Reize verändern – sondern das Bewusstsein selbst? Wie verändert sich die Informationsaufnahme, wenn ein Mensch nicht im Überlebensmodus denkt, sondern in einem Zustand innerer Weite, Ruhe und Offenheit lebt?

 

Zwei Menschen – zwei Welten


Stellen Sie sich zwei Menschen vor, die gemeinsam einen Sonnenuntergang in den Bergen erleben. Sie stehen nebeneinander, der Blick geht über die Hügelkette, die Sonne senkt sich langsam hinter den Horizont. Die Lichtverhältnisse verändern sich ständig, Farben breiten sich aus, die Luft ist kühl und klar. Beide nehmen exakt dieselben Sinnesreize auf – visuell, akustisch, körperlich. Dennoch unterscheiden sich ihre inneren Erlebnisse grundlegend.


Warum? Weil ihre Bewusstseinszustände unterschiedlich arbeiten – und damit auch die Informationsverarbeitung, also wie viele Bits pro Sekunde bewusst wahrgenommen und integriert werden.

 

Mensch im Widerstand – Leben in Bewertungen


Ein Mensch, der sich innerlich in einem Zustand von Schuld, Angst oder emotionaler Instabilität befindet, lebt in einem eng gefassten Wahrnehmungsfeld. Seine Gedanken kreisen um Verlust, Kontrolle, Selbstschutz. Das Nervensystem richtet sich nach innen aus, statt die Umgebung umfassend aufzunehmen. Viele Reize erreichen ihn lediglich abgeschwächt oder verzerrt.

In einem solchen Zustand liegt die geschätzte bewusste Informationsaufnahme bei etwa 10 bis 20 Bit pro Sekunde. Die Aufmerksamkeit bleibt auf das gerichtet, was als "problematisch" empfunden wird – meist bezogen auf das eigene Erleben oder vergangene Ereignisse. Die Realität reduziert sich auf eine begrenzte Auswahl an Eindrücken, geprägt durch emotionale und gedankliche Wiederholungen.

 

Mensch in Präsenz – Wahrnehmung in Weite


Der andere Mensch steht gleich daneben, jedoch in einem ganz anderen Zustand. Er befindet sich in innerer Ruhe, mit offenem Blick für das, was gerade geschieht. Die Farben des Himmels, die Bewegung der Wolken, die Frische der Luft – alles fliesst bewusst ein, ungehindert durch innere Ablenkung. Die Gedanken treten in den Hintergrund, das Nervensystem bleibt reguliert, empfänglich, wach.

In diesem Zustand verarbeitet das Bewusstsein deutlich mehr Information – geschätzt etwa 200 bis 300 Bit pro Sekunde. Die Sinne arbeiten differenziert, das Erleben integriert sowohl äussere Reize als auch innere Reaktionen – frei von sofortiger Bewertung.

 

Zwei Realitäten im selben Moment


Beide Menschen befinden sich am selben Ort, zur selben Zeit. Dennoch erleben sie unterschiedliche Realitäten – nicht wegen der äusseren Umstände, sondern aufgrund ihrer inneren Verfassung. Der Unterschied liegt in der Bandbreite der bewussten Wahrnehmung, mit der dieselbe Umgebung aufgenommen wird.


Ein Mensch, der beginnt, eigene innere Muster zu erkennen, erlebt eine deutliche Erweiterung seiner Wahrnehmung. Gedanken verlangsamen sich, die Welt erscheint klarer. Informationen erreichen das Bewusstsein feiner abgestuft, Zusammenhänge werden greifbarer. Statt automatischer Reiz-Reaktion entsteht Raum für Beobachtung, Verständnis und bewusste Entscheidung. Die Qualität der Informationsverarbeitung steigt – häufig auf das Zehnfache gegenüber verdichteten Zuständen wie Angst oder Schuld. Aus 20 Bit pro Sekunde werden 200 – derselbe Moment entfaltet mehr Tiefe, mehr Nuancen, mehr Leben.

In dieser erweiterten Wahrnehmung wirkt ein Mensch oft gelassen, präsent oder still. Für jemanden, der sich im Überlebensmodus befindet, erscheint solches Verhalten ungewohnt. Der Begriff "verschroben" taucht häufig dort auf, wo das eigene Weltbild ins Wanken gerät. Was sich schwer einordnen lässt, erzeugt inneren Widerstand. Wer sich stark mit Bewertungen identifiziert, erlebt Menschen mit freierer Wahrnehmung als fremd – nicht aufgrund des Verhaltens selbst, sondern weil es dem vertrauten Bezugsrahmen entgleitet.

Gleichzeitig bietet genau dieser Moment eine stille Einladung. Wo Reibung entsteht, zeigt sich ein Spiegel. Der Mensch mit offener Präsenz erinnert daran, dass andere Zustände zugänglich sind – Zustände mit höherer Auflösung, erweitertem Spielraum und tieferer Verbindung zum eigenen Erleben.

 

Realität entsteht aus dem inneren Zustand


Was wir als Welt wahrnehmen, entsteht im Zusammenspiel zwischen äusserem Reiz und innerer Verarbeitung. Je klarer, ruhiger und weiter der eigene Zustand wird, desto differenzierter zeigt sich das Aussen. Die Rohdaten bleiben identisch – Farben, Formen, Stimmen, Bewegungen. Doch wie sie im Bewusstsein erscheinen, verändert sich mit jeder inneren Verschiebung.


Ein Mensch, der sich selbst beobachtet, erschliesst neue Perspektiven. Er erkennt Muster, statt sich in ihnen zu verlieren. Die Welt wirkt weiter, lebendiger, reicher an Möglichkeiten. Wer emotional gebunden bleibt und auf Kontrolle oder Abwehr fokussiert, erlebt dieselbe Welt als begrenzend oder bedrohlich – bei gleichbleibenden äusseren Bedingungen.


Beide leben in derselben Realität. Jeder Moment enthält Millionen von Eindrücken. Doch was ihr Bewusstsein daraus macht, entscheidet über Tiefe, Klarheit und Handlungsspielraum.


Was Sie wahrnehmen, beginnt nicht im Aussen, sondern in Ihnen.

 
 
 

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